Keine Tradition

Isabel Ettenauer im freiStil-Gespräch mit Markus Stegmayr

freiStil #53, März/April 2014

Was anfänglich nur als ein kleines Projekt gedacht war, hat sich für Isabel Ettenauer jetzt seit mehr als zwölf Jahren als ihr musikalisches Hauptbeschäftigungsfeld herausgebildet: Das Spiel auf und mit dem Toy Piano, das auf der Bühne auf den ersten Blick einen theatralischen Aspekt mit einbringt und beim Hinhören für Staunen sorgt. Es klingt viel eher wie ein perkussives Instrument, vielleicht eher wie ein Glockenspiel als ein Klavier. Isabel Ettenauer ist für dieses Instrument genauso entbrannt wie der Komponist Karlheinz Essl, mit dem sie eine langjährige musikalische Beziehung und Freundschaft verbindet. Markus Stegmayr traf sie zum freiStil-Gespräch.

Kannst du mir kurz etwas über das ungewöhnliche Instrument Toy Piano erzählen? Wie gehen Komponisten mit diesem Instrument eigentlich um?

Wenn ich jemanden frage, ein Stück für Toy Piano zu schreiben, dann gibt es verschiedene Resultate, die dabei herauskommen können: Es gibt die Komponisten, die das Toy Piano nicht wirklich kennen und einfach denken, dass das ein kleines Klavier mit geringerem Tonumfang  ist. Die schreiben dann ein Stück für ein Mini-Klavier. So etwas geht normalerweise völlig daneben, weil das Toy Piano ein ganz anderes Instrument ist als das Klavier. Es ist nicht einfach nur ein kleines Klavier, sondern es klingt völlig anders, da es ja keine Saiten, sondern Metallstäbe hat, die von Plastik- oder Holzhämmerchen angeschlagen werden. Es klingt eigentlich eher wie ein Glockenspiel oder Xylophon, jedenfalls viel perkussiver als ein Klavier mit Saiten. Außerdem ist es ja nie so rein gestimmt wie ein großer Flügel und hat ein reiches Obertonspektrum. Die einen Komponisten missverstehen das also (zum Glück gibt es davon immer weniger), die anderen sind glücklich, dass sie ein einzigartiges Instrument mit einem ungewöhnlichen Klang vor sich haben, das, im Gegensatz zum großen Klavier, keine Tradition hat. Sie fühlen sich total frei und können etwas völlig Neues schaffen. Einer, der sich für die Sache interessiert hat, dass das Toy Piano keine Tradition hat, ist Karlheinz Essl, der bald richtig Feuer gefangen hat. Er hat seit 2005 eine Vielzahl von Toy Piano-Stücken geschrieben, von denen jedes völlig anders ist und einen neuen Aspekt des Instrumentes erforscht. Das ist für mich als Interpretin natürlich sehr erfrischend, wenn ein Komponist so frei auf das Instrument zugeht, es als eigenständiges Instrument wahrnimmt und wirklich neue Dinge erschafft.

In dieser Hinsicht stellt sich natürlich auch die Frage des Komponisten und des Interpreten. Wie verhält sich das bei euch? Wie viele Freiheiten nimmst du dir als Interpretin raus?

Die Freiheiten, dich ich als Interpretin habe, variieren von Stück zu Stück. Gerade beim ersten Werk, das Karlheinz für mich komponiert hat, Kalimba, gibt es ja diese Zuspielung. Rein vom Timing her hat man da so gut wie keine Freiheiten, da man ganz exakt zusammenspielen muss, wie mit einem Kammermusikpartner, nur halt mit einem, der überhaupt nicht reagiert (lacht). Es ist eben fixiert. Man nennt das ja auch „fixed media“. In dem Stück gibt es also relativ geringe Freiheiten, ein paar Stellen, wo man ein bisschen was machen kann, agogisch, und dynamisch natürlich auch. Wo es mehr Freiheit für mich als Interpretin gibt, ist in seinem Solo-Toy Piano-Stück WebernSpielWerk oder in seinen Werken mit Live-Elektronik, z.B. seinem dritten Toy Piano-Stück Sequitur V, das wir ursprünglich zu zweit als Duo gespielt haben. Ich habe Toy Piano gespielt, und Karlheinz hat die Elektronik übernommen. Irgendwann hat sich herausgestellt, dass es auch möglich ist, die Elektronik selbst zu spielen. Das hat sich gerade für meine Konzertreisen als sehr praktisch erwiesen. Ich kann also dieses und auch spätere andere Stücke auch als reine Solo-Stücke spielen, wobei ich bei jeder neuen Komposition dazu gelernt habe. Das Programm, das Karlheinz für seine Sequitur-Reihe erschaffen hat, sein Sequitur-Generator, verarbeitet die klanglichen Ereignisse des jeweiligen Solo-Instruments in Echtzeit und arbeitet mit Zufallsoperationen, was gewisse Überraschungen mit sich bringt. Die elektronische Verarbeitung des Live-Spiels klingt jedes Mal anders. Da muss man natürlich als Spieler darauf reagieren und hat da auch einen gewissen Spielraum.

Wie ist es derzeit eigentlich generell um das Toy Piano bestellt? Ist es immer noch ein Instrument, das wenige kennen?

Es hat in den letzten Jahren einen totalen Boom gegeben, ausgelöst  auch durch einige CDs, unter anderem von Margaret Leng Tan. Meine erste CD, die 2005 erschien, the joy of toy, hat wahrscheinlich auch einen Beitrag geleistet. Das erste Stück darauf, Kalimba von Karlheinz Essl, das er im selben Jahr für mich komponiert hat, ist inzwischen eines der meist gespielten Toy Piano-Stücke weltweit, ich selbst hab es schon 56 Mal live aufgeführt. Etliche meiner Pianisten-Kollegen haben angefangen sich mit dem Toy Piano zu beschäftigen, weil sie dieses Stück spielen wollten. Es tut sich überhaupt sehr viel im Moment. Es hat z.B. letztes Jahr im Dezember in Luxembourg zum ersten Mal ein Toy Piano World Summit gegeben, wo Toy Pianisten aus der ganzen Welt zusammen gekommen sind. Da waren auch Margaret Leng Tan und Phyllis Chen aus New York und Bernd Wiesemann aus Deutschland, der schon in den 1980ern Toy Piano gespielt hat. Es gibt inzwischen auch eine Facebook-Gruppe von Toy-Pianisten mit 275 Mitgliedern. 2001 war ich noch eine der ganz wenigen, die ganze Konzerte am Toy Piano gespielt hat. Doch inzwischen gibt es einige Kollegen, die sich schwerpunktmäßig mit dem Toy Piano beschäftigen. Auch das Repertoire ist in den letzten zehn Jahren enorm gewachsen. Über 40 Werke von KomponistInnen aus den unterschiedlichsten Ländern sind allein für mich komponiert worden. Und in Amerika gibt es einen Toy Piano-Wettbewerb, den Phyllis Chen seit ein paar Jahren veranstaltet.

Vielleicht kannst du mir noch kurz etwas zu deinen kommenden Projekten sagen? Welche Konzerte usw. stehen an?

Jetzt, nachdem die CD whatever shall be erschienen ist, wünsche ich mir natürlich, dass ich diese vielfältigen und spannenden Stücke in ihrer Gesamtheit noch oft und auch international spielen kann. Einerseits beleuchtet das Programm ja das Toy Piano von verschiedensten Seiten, andererseits spiele ich auch weitere kleine Instrumente, nämlich Kalimba und Music Box, sowie natürlich auch Live-Elektronik. Ich bekomme sehr viel Feedback von Leuten, die sehr fasziniert sind von diesen Klängen, sowohl von Fachleuten als auch von solchen, die sonst nicht so viel „Neue Musik“ hören. Ein weiteres Projekt, das mich jetzt schon beschäftigt und bei dem ich mich wieder intensiv mit dem großen Klavier befasse, ist eine erneute Zusammenarbeit mit Karlheinz Essl, nämlich die Aufführung seines Gold.Berg.Werks. Das Gold.Berg.Werk (eine wunderbare Interpretation der Bach’schen Goldberg-Variationen) wurde ursprünglich von einem Streichtrio beauftragt. Wir werden beim Barockfestival St. Pölten im Juni 2014 erstmals die neue Fassung für Klavier und Live-Elektronik zur Aufführung bringen. Außerdem habe ich ein Duo-Projekt (Toy Piano + Cembalo) mit der holländischen Cembalistin Goska Isphording, das wir 2006 schon einmal gestartet haben und nun im nächsten Jahr weiterführen werden. 

[Das Gespräch wurde im November 2013 geführt.]

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